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Der dankbare Gnadenplatzhund – oder doch nur eine romantische Illusion?

Wenn man sich heute in den Medien umschaut, dann wird man förmlich zugeschüttet mit Anzeigen von Hunden, die ein Zuhause suchen. 

Hunde, die
ganz arm gucken
soooo lieb sind
in ihrem eigenen Dreck sitzen
misshandelt wurden
von der Straße gerettet wurden
wegen Allergie weg mussten
vom Jäger ausgemustert wurden
alt und krank sind
und und und …

Schnell kommt dann der Wunsch auf, den ein oder anderen „retten“ zu müssen. Ach, der bekommt einen Gnadenplatz bei mir, da hat er es nochmal richtig gut in der Zeit, die ihm noch bleibt! Ein wirklich schöner und ehrenwerter Gedanke! Aber leider wird der oft nicht zu Ende gedacht. 

Was ist, wenn der Hund – vermeintlich gesund angereist – plötzlich nichts mehr frisst, sich dauernd erbricht, anfängt zu humpeln, sich zu kratzen oder die Augen tränen? Dann geht der verantwortungsbewusste (Neu-)Hundehalter zum Tierarzt. Ultraschall, Röntgen, Zahnsanierung, Spezialfutter, Medikamente, Blutentnahmen, Mittelmeercheck, Wurmtest, Physiotherapie … sind nur eine kleine Auflistung der Dinge, die dann für den Hund notwendig und bezahlt werden müss(t)en. Ratzfatz ist man da mehrere hundert Euro los. Nicht nur, aber gehäuft alte Hunde haben oder bekommen so ihre Wehwehchen. Da geht´s de Hund wie de Leit. 

Aber es gibt doch Krankenversicherungen für Hunde! Ja, gibt es. Aber die meisten nehmen Hunde nur bis zum 7. Lebensjahr auf und auch nur, wenn sie gesund sind. Für eine Hundekrankenversicherung kommen locker 600 – 900 Euro im Jahr zusammen

Unabhängig vom Geld gibt es natürlich auch noch andere wichtige Gesichtspunkte, mit denen man sich VOR der Übernahme eines Gnadenplatzhundes Gedanken machen sollte:

Bin ich bereit, ggfs. mehrmals die Nacht mit dem Hund raus zu gehen, weil er sein Geschäft nicht mehr so lange halten kann? Tagsüber natürlich das gleiche?

Traue ich es mir zu, mit einem tauben oder blinden Hund zu kommunizieren? 

Kann ich meine Spaziergänge dem Tempo und der Kondition des Hundes anpassen? Oder soll der Hund auf jeden Fall immer und überall hin mitkommen?

Möchte ich Sport mit dem Hund machen?

Möchte ich meinen Urlaub nach dem Hund ausrichten? Viele Hotels erlauben keine Hunde, haben viele Treppen oder liegen mitten im Stadttrubel ohne Grünfläche in der Nähe. 

Würde ich meinem Hund zuliebe auch auf den lange geplanten und ersehnten Urlaub verzichten, wenn es ihm nicht gut geht?

Alte Hunde neigen dazu, immer in meiner Nähe sein zu wollen. Halte ich das aus?

Bin ich gerne und oft unterwegs? Mit alten, kranken Hunden ist man ihnen zuliebe öfter zu Hause als mit jungen, fitten.

Bekomme ich oft und wechselnden Besuch? Leben aktive und laute Kinder im Haushalt? Das ist für alte, kranke Hunde oft ein großer Stressfaktor.

Und ein ganz wichtiger Punkt: Ist mir bewusst, dass ein alter Hund nicht mehr allzu viel Lebenszeit haben wird? Werde ich ihn zum richtigen Zeitpunkt gehen lassen können?

Auch diese Liste könnte ich weiterführen und würde ganz sicher immer noch das ein oder andere vergessen. 

Wenn ich einem Hund einen Gnadenplatz anbiete, dann soll es auch der letzte Platz sein, auf welchem der Hund bis zu seinem Lebensende bleiben darf. Das sollte mir klar sein. 

Auf der anderen Seite gibt es sie natürlich, die völlig problemlosen, gesunden, netten, pflegeleichten Hunde, bei denen man kaum merkt, dass sie da sind. Ich kann es nicht belegen, aber ich würde schätzen, dass diese Hunde eher in der Unterzahl sind. Alte Hunde bringen eine Geschichte mit, die nur sie kennen. Nur sie wissen, warum sie in bestimmten Situationen so reagieren, wie sie reagieren. Nur sie wissen, warum sie vor bestimmten (oder vor allen) Menschen Angst haben. Nur sie wissen, wo genau es weh tut und wo man sie daher besser nicht anfassen sollte. 

Was ich damit sagen will: Wenn man einen alten Hund bei sich aufnimmt, muss man immer darauf gefasst sein, dass er etwas zeigt, mit dem man selbst nicht gerechnet hat. Und wenn das rauskommt, wäre es schön, wenn man damit umgehen kann. Denn zuvor hat man schließlich JA zu diesem Hund gesagt!

Wenn ich mir über all das vorab intensiv Gedanken gemacht habe, finanziell in der Lage bin für zusätzliche Kosten aufzukommen, mein Haus für einen alten Hund eingerichtet ist, alle Familienmitglieder diese Entscheidung unterstützen und mittragen und ich an den neuen Hund keine Erwartungen habe, dann würde ich sagen: Los geht´s, erkundige dich, hole so viele Infos wie möglich ein und dann gib einem alten Hund die Chance, nochmal ein geliebtes Familienmitglied werden zu dürfen!

An meine Gnadenplatzhunde hatte ich keine Erwartungen und sie geben mir so viel zurück, dass ich mich manchmal frage, womit ich das verdient habe. Irgendwas scheine ich richtig gemacht zu haben. Und jetzt frage ich mal bei ihnen an, ob ich vielleicht auch ein kleines Eckchen der Couch haben darf. Denn das lieben sie alle: Weiche, kuschelige Plätzchen! Vielleicht hatten sie vorher noch nie eins, wer weiß …

Schnickschnack, geschätzte 11 Jahre, Gnadenplatzhund, pinkelte anfangs alles im Haus an, hat gesundheitliche Baustellen und einen starken Charakter, ist so liebenswert, dass ich ihn den ganzen Tag knutschen könnte
Mobilitätsassistenzhund am Rollstuhl

Von Sabine Müller

Seit meiner Kindheit begleiten mich Hunde und seit vielen Jahren leben immer mehrere gleichzeitig an meiner Seite. Ich unterstütze Sie dabei, Freude am Hund zu entwickeln, diese Freude zu behalten oder wiederzuentdecken. Dafür setze ich mich ein und freue mich auf Sie!

17. Juli 2022

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